Als eine der Ersten erkannte Susanne Puello das enorme Potenzial des E-Mountainbikes und stellte die Weichen firmenintern konsequent und sehr erfolgreich auf E-Mobilität. Wie sieht die Fahrrad-Industrielle Branche und Produkte im Rückblick, aktuell und in Zukunft?
Als Urenkelin von Engelbert Wiener aus der Fahrraddynastie Winora hatte Susanne Puello den Kontakt zur Fahrradbranche bereits in frühster Kindheit. Unter ihrer Leitung stellte die Eigenmarke Haibike 2010 das erste E-Mountainbike vor. Die Winora Gruppe war in der Zwischenzeit Bestandteil von Derby Cycle geworden, die 2002 von der börsenkotierten Accell Group übernommen wurde. Als deren Korsett zu eng wurde, schied Puello aus und gründete 2017 gemeinsam mit ihrem Ehemann Felix die Pexco GmbH («Puello eMobility Crossover Company») mit den Marken Husqvarna und Raymon. Ende 2019 wurde Pexco vollständig in die börsennotierte Pierer Mobility AG integriert. Nach finanziellen Problemen hat die Pierer Mobility Group bekanntgegeben, sich 2025 aus dem Fahrrad- und E-Bike-Markt zurückzuziehen. In der Zwischenzeit haben die Puellos im Oktober 2023 Raymon Bicycles bzw. die Raymon Bicycles GmbH aus der Pierer Mobility Group herausgekauft und unter eigener Führung neu aufgestellt.
easybiken: Sie gelten als Pionierin in der Branche, als eine der Ersten, die das enorme Potenzial des E-Bikes erkannt und die Weichen firmenintern konsequent Richtung E-Mobilität gestellt hat. Was geht Ihnen als erstes durch den Kopf, wenn Sie zurückblicken?
Susanne Puello: Vieles! Die Branche ist über all die Jahrzehnte spannend und dynamisch geblieben. Gute und schlechte Zeiten haben sich immer mal wieder abwechselt. Ganz klar: Die Erfindung des E-Mountainbikes mit Haibike hat diese Branche verändert – und zwar für immer. In meinem Fall war die Veränderung noch ein bisschen krasser und das aus zwei Gründen: Manchmal braucht es den Mut einer Frau, nicht nur technisch und auf eingefahrenen Pfaden zu denken. Dabei bin ich geprägt durch meine Vergangenheit. In eine deutsche Fahrraddynastie hineingeboren, habe ich von Kindesbeinen an viel von der Branche mitbekommen. Denn das Geschäft war natürlich auch sehr oft Thema bei Tisch. Ich musste nicht lange überlegen, was ich nach dem Abitur machen werde.
Wie sind Sie zum E-Bike gekommen?
Intensiver damit befasst habe ich mich mit dem Thema ab den Nullerjahren. Mir war jedoch bewusst: So lange die E-Mobilität nicht aus ihrer Ecke rauskommt, die fast ausschliesslich von der Zielgruppe der über 60-Jährigen geprägt war, wird sie in der Nische bleiben. Bosch durchbrach diese Phallanx 2009, als sie den ersten voll einsatzfähigen Motor präsentiert haben. Uns ist es als Hersteller gelungen, den Antrieb durch Drehung ins Rahmeninnere zu integrieren, so, dass ein Einsatz im sportlichen Offroad-Segment überhaupt erst möglich wurde. Bodenfreiheit, Schutz vor Schlägen und ein zentraler Schwerpunkt waren dabei unser Ziel. Zusammen mit dem umfangreichen Leistungspaket von Bosch war es uns erstmals möglich, E-Bikes für ein ganz neues Segment zu produzieren.
Das klingt beinahe nach einem Sonntagsspaziergang.
Ja, aber dieser Eindruck täuscht. Denn die Entscheidung auf E-Bikes und insbesondere auf E-Mountainbikes zu setzen, noch bevor es die grosse Masse tat, barg einerseits eine gigantische Chance aber eben auch ein grosses finanzielles Risiko. Interessanterweise musste ich meinen Mann, Felix Raymundo Puello, als Chef des Produktmanagements und des Engineerings nicht lange überzeugen. Nach 48 Stunden sagte er trocken: «Das wird was. Das bekommen wir hin, dass es passt.» Intensivere Überzeugungsarbeit mussten wir bei den eigenen Ingenieuren leisten. Was dann auf der Eurobike 2010 in Friedrichshafen passiert ist, ist Geschichte.
Erzählen Sie uns diese Geschichte?
Meine Absicht war in diesen fünf Tagen eben nicht nur, dieses neue Produkt «E-Mountainbike» vorzustellen. Ich wollte sehen, wie die Endverbraucher darauf reagieren. Derweil die Mitbewerber gelacht und sich auf die Schenkel geklopft haben, reagierten die Fahrradhändler durchaus interessiert und wollten mehr wissen. Dann kamen die berühmten beiden Publikumstage am Wochenende. Die Reaktionen der Endverbraucher waren so überwältigend, dass ich gewusst habe, dass wir mit unserer Entscheidung richtig lagen. Der Endverbraucher hat viel schneller verstanden, um was es geht. Auch wenn die üblichen Ressentiments mitschwangen.
Die da waren?
Der Klassiker: Männer, die sportlich sind, werden nie auf ein E-Bike steigen. Aber der Gedanke, bei Bedarf nahezu mühelos die steilsten Steigungen hochzupedalieren, hat insgeheim eben doch fasziniert. Es dauerte einfach noch eine Weile, bis auch der Hinterletzte das so richtig kapiert hat. Ich kann ja mit dem E-Bike alles so tun, wie ich es auf dem Fahrrad immer getan habe. Einfach höher, schneller und weiter. Man kann sich auch mit E-Unterstützung auspowern bis zum Schluss. Aber anstatt 1200 Höhenmeter schafft man mit E-Unterstützung in der gleichen Zeit 2400 Höhenmeter.
Was hat der Erfolg mit Ihnen gemacht?
Für uns als Familie und für mich als Person war das natürlich schon ein sehr einschneidendes, schönes und positives Erlebnis, das ich nicht missen möchte. Es gab in dieser Zeit aber auch ganz viele schöne andere Fahrraderlebnisse.
Sie haben auch experimentiert, haben es zum Beispiel gewagt, ein Serienbike mit dem damaligen «Übermotor» TQ 120 auszurüsten. Was reizt Sie daran, die Grenzen auszuloten?
Ja, in manchen Punkten bin ich tatsächlich eine Grenzgängerin. Gemeinsam mit meinem Mann pushen wir uns eben gerne gegenseitig, um den Status Quo zu übertreffen. Mich reizen Innovation und mit Tempo Dinge zu verändern beziehungsweise umzusetzen. Sich nicht nur auf ein System einzufahren, sondern die mögliche Bandbreite auszureizen. Deshalb haben wir immer auch mit anderen Antriebsherstellern wie Yamaha zusammengearbeitet. Wir sind eigentlich ständig auf der Suche nach der Nische, die noch nicht besetzt ist. So sind wir vor Jahrzehnten auch unter dem Dach der Winora Group mit Bike Parts nebenbei zum Teilegrosshändler geworden. Chancen zu ergreifen, die sich einem bieten – das treibt uns an. Der Verdienst gebührt aber auch meinem Mann, der mit viel Liebe zum technischen Detail massgeblich zum Erfolg beigetragen hat und einem grossartigen, agilen Team, das bis heute seit Jahrzehnten in ähnlichen Konstellationen mit uns zusammenarbeitet.
Mit mehreren Zulieferern setzt man sich weniger einem einzigen Preisdiktat aus. Schafft das nicht auch eine gewisse Unabhängigkeit?
Exakt.
Jüngst erleben wir einen Boom nach mehr Spitzenleistung, der vom chinesischen (Drohnen-) Hersteller DJI ausgelöst wurde. So gut wie alle Antriebshersteller haben nachgezogen. Wie sehen Sie dieses Streben nach mehr Spitzenleistung?
Neue Innovationen kommen. Sie haben es vorhin angesprochen. Das war einer der Gründe, warum wir Yamaha und TQ als Alternative zu Bosch in unsere E-Bikes eingebaut haben. Die Charakteristik der Systeme ist unterschiedlich. Deshalb haben sie eine Existenzberechtigung – auch Dji. Ob allerdings möglichst hohe Drehmoment- und Maximalleistungswerte tatsächlich das Allheilmittel für alle Nutzer sind, wage ich zu bezweifeln. Aber auch da bin ich vielleicht zu sehr Frau, die mehr Wert auf einfache Bedienung und Fahrkomfort legt als auf Maximalleistung. Als ich jung war, zählten in der Automobilbranche auch nur die PS-Zahlen. Bis wir das aus den Köpfen getrieben hatten, hat es 30 Jahre gedauert. Heute geht es mehr um nachhaltige Fahrzeuge, um einen geringen Spritverbrauch und niedrige Emissionswerte. Das wird bald auch beim E-Fahrrad Einzug halten. Man sollte sich die Fragen stellen: Was ist für mich sinnvoll? Was brauche ich? Wo liegt der Einsatzzweck des E-Bikes? Da sehe ich in so vielen Aspekten null Notwendigkeit, nur nach Newtonmeter und möglichst hoher Maximalleistung zu streben.
Das komplette Interview gibt es im Magazin easybiken, Ausgabe 2/25.
Interview und Foto: Martin Platter
aus: easybiken, Heft Nr. 2/2025