Keine Karrenschmiere mehr an den Beinen und Kleidern? Die Lösung ist Wachs anstelle von Kettenöl. Das Wundermittel soll zudem den Pflegeintervall und die Haltbarkeit der Antriebskomponenten deutlich erhöhen. easybiken wagt den Selbstversuch.
Die Nachteile eines Kettenantriebs haben die meisten Biker schon erlebt, die ganzjährig im Gelände bei ständigem Dreckbeschuss oder auf salznassen Strassen unterwegs sind. Fröhlich zwitschern die Ketten rostrot vor sich hin und nutzen den Antrieb im Handumdrehen ab. Ohne Pflege kann eine Kette je nach Qualität bereits nach 300 Kilometern so stark abnutzen, dass sie getauscht werden müsste. Fährt man weiter, sind bald auch das Ritzelpaket und das vordere Kettenblatt fällig. Besonders schädlich ist es, das salzwassernasse E-Bike nach dem Gebrauch tagelang in der warmen Garage vor sich hinrotten zu lassen. Das Resultat ist eine steifgerostete Kette, die ersetzt werden muss.
Entsprechend steigt der Pflegeaufwand bei nassem Wetter beträchtlich. Ohne tägliches Waschen, Trocknen und Ölen der Kette kommt bald der Flugrost, die Kette beginnt zu zwitschern und erwärmt sich während der Fahrt. Wärme und Geräusche sind untrügliche Zeichen, dass sich der Wirkungsgrad am Verschlechtern ist. Während eine neue Kette lediglich ein bis zwei Prozent der Pedalkraft durch Reibung verliert, können es bei einer rostigen Kette bis zu zehn Prozent werden! Das heisst: Ein Zehntel der Pedalkraft geht nicht in den Vortrieb, sondern verpufft durch erhöhte Reibung und zerstört zudem die Komponenten.
Aber selbst bei regelmässiger Pflege mit hochwertigen Schmierstoffen verschleissen Kettenantriebe in vergleichsweise kurzer Zeit. Vor allem am E-Bike, das die Pedalkraft ums drei- bis vierfache erhöht. Denn das Öl hat einen entscheidenden Nachteil: Es wird klebrig. Die Karrenschmiere zieht nicht nur Staub, Sand und Schmutz magisch an und verdreckt Klamotten, Wädli und bei einer Panne die Finger. Die Öl-Schmutz-Verbindung wirkt als dünner Film an den Kontaktstellen wie ein Schmirgelpapier, die während der Fahrt permanent an den Kettenrollen und Ritzelzähnen reibt. Das ist der Grund, weshalb Ketten am E-Mountainbike selbst bei guter Pflege nach rund 1500 Kilometern ihre Verschleissgrenze erreichen. Bei schweren Fahrern, geringer Tretkadenz und unvorsichtigem Schalten unter höchster Belastung sogar noch schneller. Nun hat man die Wahl: Die Kette regelmässig ersetzen und so die Ritzel schonen. Oder weiterfahren und dann mit dem Kettenwechsel gleich alle Ritzel mitwechseln, was ins Geld geht. Wir sind Verfechter der Strategie «Kette zeitig wechseln». So hat man eine grössere Sicherheit, dass die hochbelastete Kette beim Schalten nicht plötzlich reisst.
Es lohnt sich auch, Alternativen zur herkömmlichen Kettenschmierung in Betracht zu ziehen. Das Wachsen der Fahrradkette hat etliche Vorteile. An erster Stelle steht die Sauberkeit. Keine Karrenschmiere mehr an Hosenbeinen, Wädli und Händen. Die mit Wachs präparierte Kette ist trocken. Staub, Sand und Schmutz, der vom Vorderrad aufgewirbelt wird, bleibt nicht mehr an der Kette kleben. Damit gibt’s auch keinen Schmirgelpapiereffekt, der der Lebensdauer der Antriebskomponenten abträglich ist. Mehr noch: Wachse sollen auch die Reibung vermindern – vor allem bei hohen Belastungen, wie sie am E-Bike auftreten. Einmal gewachste Ketten müssen weniger nachbehandelt werden als geölte. Spricht eigentlich alles fürs Wachsen? Das wollten wir selbst herausfinden und begaben uns in die Werkstatt.
Der wohl grösste Nachteil des Wachsens ist, dass der Antrieb vollkommen fettfrei sein muss, damit der Wachs haften bleibt. Die Ritzel, die Kette und das Schaltwerk entfetten, braucht Zeit. Bei stark verschmutzen Ketten und Ritzelpaketen lohnt sich der Aufwand kaum, es sei denn, die Teile sind noch neuer. Am besten misst man die Kettenabnutzung mit einem Kettenverschleissmessgerät, ehe man sich die Mühe der Reinigung macht. Auch die Ritzel sollten noch tragen. Bei hinteren Ritzelpaket sollte zudem kontrolliert werden, ob die einzelnen Zahnräder noch fest sitzen. Bei genieteten Paketen können sich nämlich mit der Dauer und der Intensität des Gebrauchs die Nieten lösen. In diesem Fall sollte das Paket ebenfalls ersetzt werden, oder, sofern einzeln verfügbar, die losen Elemente.
Während neue Ritzelpakete und Kettenräder fettfrei ausgeliefert werden, haben bisher erst wenige Marken von neu auf gewachste Ketten im Sortiment; Kettenspezialist KMC beispielsweise. Bei Shimano und SRAM heisst das, dass auch die neue Kette zuerst entfettet werden muss. Wir sind so vorgegangen: In einem Kleinteilereiniger wurde das äusserliche Fett und der Schmutz zuerst mechanisch mit Pinsel und Bürste entfernt - auch auf dem Wechsler und den Ritzeln. Mit Druckluft wurden die Teile getrocknet. Danach kam die Kette für 15 Minuten bei 60 Grad in einen Ultraschallreiniger, der dem Fett im Inneren zuleibe rückte. Das Bad im Reinbenzin beendete den Reinigungsprozess, der mit der Trocknungszeit dazwischen gut und gerne eine Stunde beanspruchte. Das rund 20-minütige Bad der Kette im 75 Grad warmen Kettenwachs folgte zum Schluss. Wir haben uns für Silca Secret Chain Blend als Heisswachs entschieden. In verschiedenen Tests erhielt dieses Wachs gute Noten bezüglich seines Leichtlaufs bei geringer und bei hoher Leistung. Fürs Nachwachsen verwenden wir den «Chainwax» von Motorex. Dies ist nötig, weil Regen der Wachsschicht zusetzt und diese erneuert werden muss. Dabei muss man beachten, dass das Flüssigwachs eine gewisse Zeit braucht, bis es in die Kette eingezogen und getrocknet ist. Eine nasse Kette sollte deshalb gleich nach der Fahrt getrocknet und mit Flüssigwachs nachbehandelt werden, damit sie über Nacht genügend Zeit zum Trocknen hat.
Die ersten Erfahrungen mit den gewachsten Ketten sind sehr positiv. Die ersten paar Kilometer läuft der Antrieb noch etwas rauh, danach wird die Kette immer ruhiger bis sie seidenweich läuft. Wie die Erfahrung auf Dauer ist, werden wir im Langzeittest im nächsten easybiken berichten.
Vor- und Nachteile des Kette-Wachsens
+ Sauberkeit:
Wachs zieht im Gegensatz zu Öl oder Fett kaum Schmutz und Staub an. Dadurch bleibt die Kette sauberer, was den Verschleiss verringert und auch keine Spuren an Hosen, Waden und Händen hinterlässt.
+ Längere Lebensdauer: Ohne Schmutz nutzen sich Kette, Kassette und Kettenblätter langsamer ab. Dadurch verlängert sich die Lebensdauer der Antriebskomponenten.
+ Bessere Effizienz: Gewachste Ketten erzeugen weniger Reibung, was die Kraftübertragung verbessert und eine höhere Effizienz ermöglicht.
+ Weniger Wartung: Einmal gewachste Ketten müssen seltener gereinigt und erneut gewachst werden als geölte Ketten, besonders bei trockenen Bedingungen.
– Der Initialaufwand: Der Erstaufwand ist höher (Antrieb entfetten, Kette in heisses Wachs tauchen oder mit speziellem Flüssigwachs behandeln).
– Bei Regen muss nachgewachst werden: Bei nassen Bedingungen kann Wachs schneller abgewaschen werden, wodurch häufigeres Nachbehandeln nötig ist. Flüssigwachs braucht je nach Produkt eine gewisse Zeit, bis es trocken ist.
Mehr Informationen in der Ausgabe 1/25 im Magazin easybiken.
Text: Martin Platter, Fotos Corina Venzin, Martin Platter
aus: easybiken, Heft Nr. 1/2025